Kremser Literaturforum
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Niki ist - nicht - Tim

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1Niki ist - nicht - Tim Empty Niki ist - nicht - Tim Mo Feb 25, 2019 8:43 am

ma_karjalainen

ma_karjalainen

Tim nervt. Vielleicht, weil er ohne Struppi unterwegs ist. Vielleicht auch, weil er ständig „sozusagen“ sagt. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.
Der blonde Haarschopf, okay. Aber dann: Nerd-Brille, schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schnürschuhe und kanariengelbe Socken. Und ein weißes Smartphone, das er in der linken Hand hält und auf dem er, auch während er redet, ständig mit dem rechten Zeigefinder tippt und mit dem linken Daumen wischt.
Es stimmt mit ihm ne ganze Menge nicht.
Und er heißt Niki.

Die Sitzung zieht sich schon viel zu lange hin, ich denke an den bevorstehenden Saunaabend mit meiner Männerrunde. Niki ist kein Teil davon. Und das ist gut so. Grade eben hat er wieder „sozusagen“ gesagt. Ich find ihn sozusagen Scheiße. Irgendwie schleimt er. Aber wen will er damit beeindrucken? Die Hagere, deren linker Mundwinkel sich seit unserer letzten Begegnung vor einigen Woche noch tiefer nach unten gezogen hat - Richtung Schlaganfall sozusagen – und die grade irgendetwas von Bewerbungsfotos im Bikini faselt, mit denen sie überhaupt nicht einverstanden wäre. Ihr diesbezügliches Foto wäre jedenfalls nicht beeindruckend genug, denke ich. Ach, Katrin! Oder den Vertreter der Geschäftsleitung, Jean, Sakko, gestreiftes Hemd, einen dicken goldenen Ehering, ein großes schwarzes Smartphone, mit dem Nikis nicht mithalten kann, auf das er von Zeit zu Zeit dezent blickt und hie und da noch dezenter tippt. Auch sein Wischen ist nur ein ganz klein wenig in die eine oder andere Richtung verlängertes Tippen. Joe - wie er sich nennen lässt – hat kurze an den Spitzen schon ergraute Haare, die er Mitte rechts gescheitelt hat. Das erzeugt eine lustige Welle in seiner Frisur, da die Haare zuerst noch gegen den Scheitel wachsen und sich dann erst in einem hohen Bogen dem Diktat ihres Besitzers beugen. Tränensäcke unter seinen Augen komplettieren das Bild eines verbrauchten Mittvierzigers, der sich Hoffnung auf mehr macht – und das wahrscheinlich schon zu lange. Auch er kein Typ für meine Männerrunde.

Niki, Katrin und Joe sowie eine Gruppe von grauen, namenlosen Frauen und ich. Eine bunte Truppe von Söldnern im Dienste der Unternehmung Mensch. So lautet einer der Slogans der Werbeschiene dieser Firma, die sich um die Weiterbildung von Menschen kümmert und dabei ihre Mitarbeiter nicht vergisst. Zumindest fast nicht. Und die öffentliche Hand zeigt sich sehr dankbar, offen und spendabel.
Wir müssen darauf achten, dass alles korrekt abgerechnet wird und in die richtigen Kanäle fließt, sagt Joe. Wie recht er hat. Die Kanäle in der obersten Etage sind sozusagen etwas breiter als jene, in denen wir schwimmen dürfen.

Aber man muss doch auch auf die Bedürfnisse der Zielgruppe Rücksicht nehmen, meint Tim, äh Niki und das diesmal ganz ohne „sozusagen“. Meint er das jetzt ernster als seine anderen Sprüche? Sympathischer macht es ihn mir nicht.

Die Diskussion, die nun entsteht, beehre ich mit der Bemerkung, dass ich glaube, dass wir ohnehin an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbeiproduzieren, weil „die brauchen ganz was anderes“. Kurzes Schweigen. Ich bin erschrocken, weil ich hoffte, dass dieser Einwurf ohnehin nicht wahrgenommen würde. Die Pause im Gequassel dauert nur kurz, Joe schickt noch einen ernsten Blick in meine Richtung, Niki nickt. Wie hab ich das verdient? Er greift das Argument sogar auf und startet eine Grundsatzdiskussion, in der sich vor allem die Hagere als Rächerin der Enterbten entpuppt. Und als eine der Frauen, die bei den derzeit entwickelten Konzepten überhaupt zu wenig berücksichtigt würden.

Ich freue mich, dass ich Niki ins Rennen für die gute Sache geschickt habe und denke an den Saunaabend.
Da wird die gute Laune fließen wie Schweiß und Bier. Da wird das Leben gefeiert als gäbe es kein Morgen. Da werden Geschichten erzählt wie sie das Leben niemals schrieb. Da wird die Männerfreundschaft zelebriert als wären wir das wirklich starke Geschlecht, gegen das keiner ankommen kann. Da werden Siege vorgeführt, die niemand außer dem Erzähler mitgekriegt hat.
Oh gute, starke Männerwelt. Was wäre Mutter Erde ohne dich?

„…sind auch nicht ganz ohne!“ „Bikini?“, frage ich mich. Erst dann kriege ich mit, dass die Aufmerksamkeit der ganzen Truppe auf mich gerichtet ist. Ich bewege den Kopf langsam auf und ab, als wollte ich nicken, bin mir aber nicht ganz sicher, was man jetzt von mir erwartet. Da hilft nur ein Gegenangriff: „Und wie siehst du das, Tim … äh, Niki?“

Überraschung in der Runde. Niki rudert mit den Armen, rutscht unruhig am Sessel hin und her und pariert meinen Angriff mit den Worten: „Was konkret meinst du damit?“. Ich gebe mich noch nicht geschlagen und fordere ihn nach einer kurzen Pause mit den Worten „Na ja, das soeben Gesagte oder etwa nicht?“ heraus. Wie lange wollen wir jetzt noch Ping-Pong der Worte spielen, denke ich. Niki hat keinen Spaß mehr daran und zieht sich beleidigt in sein Schmollwinkerl zurück. „Ach, was weiß ich, sollen die anderen was sagen!“

Touché!

Ich nippe an meinem Glas mit Juice und lehne mich mal entspannt zurück. In meinem Mund verwandelt sich die Flüssigkeit in herrlich kühles Bier und um mich herum mutieren die grauen Mäuschen zu einer illustren Damenschar im Saunabuffet. Ich bin verblüfft, da ich doch den Anspruch habe, ernsthafte Gedanken zu wälzen und mich nicht vom Treiben der Welt verführen zu lassen. Also konzentriere ich mich nochmals auf Niki, der jetzt sehr verkrampft und mit verschränkten Fingern in seinem Sessel lehnt.

Woran er wohl gerade denkt?

Wäre er tatsächlich Tim hätte er sicher eine andere Lösung für seine Situation. Er würde auf den Tisch hüpfen und den Überraschungseffekt zu einer spektakulären Flucht durch das Fenster und über die Fassade nützen. Unten würde schon Struppi auf ihn warten, um eventuelle Verfolger zu verbellen. Aber so bleibt er einfach sitzen und lässt sich das alles gefallen, der Niki.

Niki ist eben doch nicht Tim.

http://makarjalainen.eu

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