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Die Schätze am Dachboden

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1Die Schätze am Dachboden Empty Die Schätze am Dachboden Mo Aug 26, 2013 11:08 am

Maria Schiffinger

Maria Schiffinger

Die Schätze am Dachboden

Als ich geboren wurde, war das Haus in der Unteren Landstraße schon wieder aufgebaut. Ich kannte es niemals anders als heil und ganz, im Unterschied zu den Häusern gegenüber unseren Fenstern in der Mondlgasse und im Eisentürhof, die noch lange nach dem Bombenangriff bis spät in die Fünfzigerjahre zerstört blieben. Der ganze Eisentürhof, wie der Komplex hinter unserem Haus hieß, war durch den Bombenangriff vom 2. April 1945 zerstört worden wie auch andere Teile der Stadt, zum Beispiel das Bahnhofsviertel; doch das war schon weiter weg. Das Haus in der Unteren Landstraße war mein Zentrum, obwohl es am Ende der Landstraße lag, am Ende der Hauptstraße durch die Altstadt.

Dass das Haus bombardiert worden war, ein Teil davon zerstört, das Dach aufgerissen, dass man nur mehr die Sparren sah, konnte ich eigentlich nie glauben. Es erschien mir wie ein Märchen, ähnlich den Erzählungen, dass gleich danach angefangen wurde, die alten Ziegel für den Neuaufbau abzuklopfen und dass da alle zusammengeholfen haben. Auch der Scheibenpflug, der Glasergeselle, war dabei gewesen.

Das war nur etwa drei Jahre, bevor ich geboren wurde, und doch hatte ich immer das Gefühl, es wäre in grauer Vorzeit passiert, die aber scheinbar näher rückt, so wie Stadtmauern näher gerückt waren mit dem Steinertor und den Gassen und Straßen, bis man alle Namen gekannt hatte und sogar den Erbauer der Stadtpfarrkirche.
Vielleicht aber ist es so ähnlich wie beim Kreuzberg, an dessen Abhang sich die Stadt lehnt und unter dessen Lößterrassen sich Überreste von früher befinden, Feuerstellen zum Beispiel oder Steinspitzen aus der Steinzeit, die dann und wann freigegeben werden und dann greifbar nah vor einem liegen. Obwohl ich mir die Bombardierung nicht vorstellen konnte, musste ich an sie glauben, denn die heimliche Bewunderung, die mir die Erzählung von der Bombardierung später einbrachte, musste ich damit bezahlen, dass die Vergangenheit, die sich auf Antiquitäten, Altertümer und Gerümpel stützt, nicht mehr da war. Der Dachboden war total leer.

Ebenerdig gab es die Glaserei und das Verkaufsgeschäft, im ersten Stock lag unsere Wohnung. Im zweiten Stock wohnten in zwei getrennten Wohnungen die Oma und Tante Mirly und Onkel Toni. Die Stiege, die sich bis dorthin in gleichmäßiger Breite, begleitet von einem prächtigen, gusseisernen Geländer bogenförmig hinaufzog, veränderte dann ihre Form. Sie wurde schmäler, der Bogen enger, die Steinstufen rauer und grauer, bis man dann vor der Dachbodentür stand. Öffnete man mit einem Schlüssel die Tür – zumeist machte dies unsere Hausgehilfin -, so konnte man sich nach rechts oder links wenden. Man sah nur einen großen, langen
Ziegelboden, der unterteilt war von den Holzbalken, die solchermaßen abgestützt und seitlich hinaufstrebend, das Ziegeldach trugen. Es war staubig heroben, doch da der Boden in regelmäßigen Abständen gekehrt wurde, war es eben der Staub der Vorwoche, der hier lagerte, kein Stäubchen, das sich plötzlich in einen Schatz verwandeln konnte, womöglich in ein Goldkorn, das in einer Schatztruhe lag.

Obwohl mir immer bedeutet wurde, dass Gewinne, wenn sie nicht selbst erarbeitet waren, suspekt wären, hätte ich doch gerne etwas gefunden, etwas selbst entdeckt. Ich stellte mir vor, Ölgemälde zu finden, die sich als wertvoll entpuppten, oder Landkarten oder zumindest Briefe, die, gebündelt aufbewahrt, Geheimnisse enthielten oder zumindest wertvolle Briefmarken aufgeklebt hatten.

Obwohl ich bald begriffen hatte, dass der Dachboden nichts Wertvolles barg, ging ich doch meist mit hinauf, wenn ich von unserer Hausgehilfin gefragt wurde. Denn die Dachbodentür war immer versperrt, und so hatte es doch seinen Reiz, in etwas nicht immer Zugängliches hineinzukommen. Im linken Teil des Dachbodens hing
dann meist die Wäsche auf den Wäscheleinen, mit Holzkluppen festgesteckt.

Auf den Dachboden ging ich dann später kaum mehr hinauf, nicht nur weil die Schule angefangen hatte und ich keine Zeit mehr dafür erübrigte. Ich hatte meinen Weg zu den Schätzen gefunden. Dieser lag in schwarzen Buchstaben verschlüsselt zwischen den Einbänden der Bücher, die wir aus der Stadtbibliothek in der Althangasse entliehen hatten, Besonders in den Erzählungen von den fernen Ländern lag der Goldstaub der Verheißung. Da mein Bruder und ich die gleichen Bücher lasen, konnten wir uns manchmal mitsammen auf den Weg machen. So zum Beispiel folgten wir einem Radfahrer, der durch Asien radelte, durch mehrere Bücher nach.

Was sollte ich da noch allein auf dem Dachboden, der nichts barg, oder im Keller, der ebenfalls nichts Geheimnisvolles in sich trug bis auf eine feuchte Finsternis, die nicht einmal erschreckte.


[1] Maria Schiffinger: Die Schätze am Dachboden. In: Susanne Hönig-Sorg (Hg.): Im Fluß der Zeit´. Horn 1994, S.47-51

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